Kleinaktionäre als Graswurzelbewegung

Wenn in der Politik ein neuer gesellschaftlicher Impuls aus der Parteibasis oder von außerhalb der organisierten Parteien kommt, wird von einer Graswurzelbewegung gesprochen. Diese können aus religiösen, ökonomischen, ökologischen oder jeder anderen Motivation heraus ins Leben gerufen werden. Eines der bekanntesten Beispiele wäre etwa Fridays for Future. Durch den Aufstieg des Internets zu einer der wichtigsten Meinungsplattformen ist es zusätzlich leichter geworden, sich auf eine solche Art zu organisiere und auszutauschen, weswegen die Bedeutung von Graswurzelbewegungen weiter zunimmt.   

Was im Bereich der politischen Teilnahme Erfolg versprechen kann, ist auch auf den Aktienmarkt anwendbar. Wer ein Unternehmen von einer nachhaltigeren Ausrichtung überzeugen will, sollte sich daher überlegen, ob es nicht die bessere Wahl wäre, als Aktionär von innen für Wandel zu kämpfen, statt als Protestierender von außen gegen den Kurs des Aktienunternehmens zu demonstrieren. Im Grunde ist die Graswurzelbewegung sogar ein Instrument, das von Beginn an Teil des Börsenhandels war, nur dass es niemand so genannt hat. Sobald jemand eine Aktie erworben hat, hat er schließlich auch ein Mitspracherecht erworben. Da ist der Graswurzelgedanke schon angelegt, auch wenn er in diesem Kontext „Aktionärsversammlung“ oder auch „Stimmrecht“ heißt. Da Kleinaktionäre alleine nicht viel Einfluss haben, tun sie sich oft zusammen, um so als Besitzer größerer Unternehmensanteile zu sprechen.

Umso mehr Aktionäre sich einer „grünen“ Graswurzelbewegung anschließen, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen umschwenkt. Es gehört schließlich den Aktionären und kann diese ab einer bestimmten Größe nicht mehr ignorieren. Zumal Kleinaktionäre sich dabei zunehmend mit anderen Aktionären verbünden können, die sich ebenfalls für mehr Nachhaltigkeit einsetzen. Beispielsweise milliardenschwere staatliche Pensionsfonds, wie etwa die von Japan oder Norwegen. Von daher könnte künftig der Versuch, AGs von innen zu reformieren erfolgversprechender sein, als sie von außen zu boykottieren.

Tatsächlich ist diese Entwicklung längst im Gange. Seit Jahren nehmen Fälle zu, in denen Aktionäre erfolgreich einen stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeit verlangen. Wie sehr sich die Prioritäten dabei gewandelt haben, zeigt ausgerechnet die Ölindustrie. Drei der größten Konzerne müssen in Zukunft ihre Emissionen stärker reduzieren. Das Besondere dabei ist jedoch, dass nur einer von ihnen (Shell) von einem Gericht dazu gezwungen wurde, während bei Exxon und Chevron die eigenen Aktionäre diesen Schritt verlangten. Solcher Druck aus den eigenen Reihen war früher die absolute Ausnahme, kommt aber mittlerweile immer öfter vor. Er ist auch die Folge eines gewandelten Selbstverständnisses bei Aktionären und ihrer Sicht auf ihr Unternehmen. Aus dieser Erwartungshaltung heraus wird mittlerweile unter anderem auch das Vorlegen von Öko- und Sozialbilanzen verlangt sowie erwartet, dass mehr als nur das Profitstreben das Unternehmen antreibt. Natürlich haben nicht nur Aktionäre selbst zu dieser Veränderung beigetragen, sondern auch ein genereller gesellschaftlicher Wandel, der dem Umweltschutz und der Nachhaltigkeit eine immer größere Bedeutung einräumt, aber der Druck der eigenen Aktionäre ist für Unternehmen am schwersten zu ignorieren. Von daher handelt es sich bei „grünen Aktionären“ auf gewisse Weise um eine Form von Graswurzelbewegung, da sie für einen Mentalitätswandel in der Wirtschaft sorgen, den sich vor wenigen Jahren kaum jemand vorstellen konnte. Wer die Welt verändern will, könnte also damit anfangen, Aktionär zu werden und ein Aktienunternehmen zu verändern.