Das Degrowth-Konzept zielt auf die Transformation aller Lebens- und Gesellschaftsbereiche ab. Der französische Wirtschaftswissenschaftler Timothée Parrique widerlegt dabei die Vorstellung einer Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltauswirkungen im fünften Teil der GITA „MasterSeries“.
Degrowth (oder auch Postwachstumsökonomie) ist ein wirtschaftliches und soziales Konzept, das die Idee des unbegrenzten Wirtschaftswachstums als vorrangiges Ziel der Gesellschaft in Frage stellt. Es plädiert für eine Reduzierung des Ressourcenverbrauchs, der Produktion und des Konsumniveaus, um ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und allgemeines Wohlbefinden zu gewährleisten. Die Degrowth-Bewegung argumentiert, dass das Streben nach endlosem Wirtschaftswachstum nicht mit den endlichen Ressourcen des Planeten und dem Wohlergehen der Menschen vereinbar ist, und kritisiert das vorherrschende Wirtschaftsmodell, das ständigem Wachstum den Vorrang einräumt. Degrowth-Verfechter betonen, wie wichtig es ist, sich mit den ökologischen Grenzen auseinanderzusetzen, Ungleichheit zu verringern und unsere Beziehung zur Umwelt zu überdenken.
Befürworter von Degrowth argumentieren zudem, dass ein Übergang zu einer Degrowth-Gesellschaft notwendig ist, um drängende globale Herausforderungen wie Klimawandel, Verlust der biologischen Vielfalt und soziale Ungleichheit anzugehen. Sie schlagen eine Abkehr vom derzeitigen Paradigma des produktions- und verbrauchsgesteuerten Wachstums vor und empfehlen alternative Ansätze wie Sharing-Economy, lokale und dezentrale Produktionssysteme und die Bevorzugung der Befriedigung grundlegender Bedürfnisse gegenüber materieller Akkumulation.
Absichtliche Verlangsamung der Wirtschaft für Demokratie, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Wohlstand
Der französische Makroökonom und Forscher Timothée Parrique tritt ebenfalls für Degrowth ein und betont die Bedeutung des Konzepts im fünften Teil der „MasterSeries“ von GITA (Global Impact Tech Alliance). Dabei widerlegt er vor allem die Vorstellung einer Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltauswirkungen. Laut Timothée Parrique dürfe Degrowth nicht mit einer zufälligen Rezession verwechselt werden, sondern sei eine bewusste und strategische Entscheidung zur Verlangsamung der Wirtschaft auf der Grundlage der Prinzipien von Demokratie, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Wohlstand.
Der Wirtschaftswissenschaftler an der schwedischen Lund University stellt die Vorstellung in Frage, dass Länder grünes Wachstum erreichen könnten, indem sie ihre Kohlenstoffemissionen reduzierten und gleichzeitig ihr Wirtschaftswachstum fortsetzten. Er betont vielmehr, dass die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltauswirkungen schwer zu erreichen sei und verweist auf das Konzept des Durchsatzes, also des Flusses natürlicher Ressourcen durch die Weltwirtschaft, aus dem hervorgehe, dass sich Länder wie die USA in einem Zustand des Overshoot befänden. Im Kontext ökologischer und umweltpolitischer Fragen bezieht sich Overshoot auf die Situation, in der menschliche Aktivitäten die Kapazität der Erde übersteigen, sie auf nachhaltige Weise zu erhalten. Er tritt ein, wenn der ökologische Fußabdruck der Menschheit, der Ressourcenverbrauch, Abfallproduktion und Treibhausgasemissionen umfasst, die Regenerationsfähigkeit der natürlichen Systeme übersteigt. Das Konzept des Overshoot ist eng mit der Idee der ökologischen Grenzen oder der planetarischen Grenzen verbunden. Diese Grenzen stellen die Schwellenwerte dar, innerhalb derer menschliche Aktivitäten stattfinden können, ohne irreversible Schäden an den Ökosystemen der Erde zu verursachen. Wenn wir diese Grenzen überschreiten, geraten wir in einen Zustand des Overshoot.
Die Schwächsten müssen die Hauptlast der Umweltbelastung schultern
In dem Zusammenhang meint Timothée Parrique: „Eine bloße Reduzierung der Emissionen um einen kleinen Prozentsatz pro Jahr macht das Wachstum weder grün noch langfristig nachhaltig. Der Schwerpunkt sollte sich auf das Erreichen einer umfassenden systemischen Nachhaltigkeit verlagern, die alle Umweltschwellenwerte und nicht nur die Treibhausgasemissionen berücksichtigt.“ Um den ökologischen Fußabdruck wirksam anzugehen, sei es zudem wichtig, die Beziehung zwischen Ungleichheit und ökologischem Overshoot zu verstehen. Die Herausforderung sei für jedes Land und jeden Einzelnen unterschiedlich, da die Notwendigkeit, Produktion und Verbrauch zu reduzieren, proportional zum ökologischen Overshoot eines Landes sei. Außerdem sollten die Umweltbelastungen sowohl auf nationaler als auch auf individueller Ebene berücksichtigt werden, denn die wohlhabendsten Menschen trügen erheblich zu den weltweiten Emissionen bei, während die Schwächsten die Hauptlast der Umweltbelastung schultern müssten.
„Die imperiale Lebensweise führt zu globaler Ungerechtigkeit“
Das nennt der Ökonom die „imperiale Lebensweise“, bei der das Wirtschaftswachstum in hohem Maße von der Aneignung von Energie, Ressourcen und Arbeitskräften aus Regionen abhänge, in denen diese leicht verfügbar seien. „Die imperiale Lebensweise führt zu globaler Ungerechtigkeit, wo Überkonsum, Ressourcenausbeutung und die Beherrschung des globalen Südens durch den globalen Norden vorherrschen. Solche Ungleichheiten sind auch innerhalb von Ländern zu beobachten, wo eine Minderheit unverhältnismäßig stark zu den Emissionen beiträgt. Um den Umweltbelastungen entgegenzuwirken, müssen die Quellen der Belastung ermittelt und gezielt angegangen werden, wobei der Schwerpunkt auf denjenigen liegt, die über die Mittel und die Fähigkeit verfügen, ihr Verhalten und ihren Lebensstil radikal zu ändern.“
Er fordert daher ein Umdenken in der Wirtschaft weg von der Maximierung von Finanzindikatoren wie Einkommen, Gewinne und Bruttoinlandsprodukt. Der Übergang zu einer Postwachstumsökonomie erfordere eine Neuformulierung der Regeln und eine Anpassung des Systems, um Nachhaltigkeit und Wohlbefinden in den Vordergrund zu stellen: „Dies erfordert eine Neudefinition von Erfolg jenseits enger wirtschaftlicher Maßstäbe und eine Konzentration auf ganzheitliche Indikatoren, die soziale, ökologische und kulturelle Dimensionen umfassen. Das Streben nach Wohlbefinden sollte Faktoren wie den Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, sauberer Luft und sauberem Wasser, sozialen Zusammenhalt und die Erhaltung der biologischen Vielfalt einschließen“, sagt Timothée Parrique.
Für ihn stehen daher die Faktoren Lokalisierung und Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaft, Umverteilung von Arbeit und Zeit, Demokratisierung der Entscheidungsfindung und Bildung und kulturelle Transformation im Fokus des neuen Konzepts. Der Diskurs über Degrowth stellt somit das vorherrschende Narrativ in Frage, dass wirtschaftliches Wachstum von der Umweltzerstörung abgekoppelt werden kann. Timothee Parrique argumentiert letzten Endes, dass eine Post-Growth Welt unvermeidbar sei. Noch könnten wir uns aber entscheiden, ob die De-Growth Phase von uns gemanagt werde, oder ob sie uns managt – wobei die zweite Variante wahrscheinlich eher ungemütlich werden könnte.Das Video zur Präsentation von Timothée Parrique ist unter https://www.youtube.com/watch?v=K1JHg4Q8GoU&t=4s kostenfrei verfügbar. Informationen zur GITA „MasterSeries“ und kostenlosen Teilnahme gibt es bei Sebastian Fittko (s@gita.global) und Thomas Schindler (t@gita.global).