Im Interview erklärt Hannah Helmke, Gründerin und Geschäftsführerin von right°, einem jungen Unternehmen zur Schaffung besserer Metriken für Klimabelastung durch Unternehmen, was sie unter der „Carbon Bubble“ versteht und sagt gegenüber Impact Investing-Magazin-Chefredakteur Prof. Dr. Patrick Peters: „Es muss bei Investoren eine Aufmerksamkeit dafür geschaffen werden, wie sehr einzelne Geschäftsmodelle das Klima belasten.“
Frau Helmke, Sie warnen vor einer „Carbon Bubble“. Was verstehen Sie darunter?
Hannah Helmke: Die Carbon Bubble ist eine potenzielle Bedrohung für die globalen Kapitalmärkte und basiert auf der hohen Börsenbewertung von klimaschädlichen Geschäftsmodellen. Ein aktuelles Bespiel ist die Mitte Mai erfolgte Ablösung von Apple durch Saudi Aramco als wertvollstes börsennotiertes Unternehmen. Beide stehen derzeit bei circa 2,4 Billionen US-Dollar Marktkapitalisierung. Das bedeutet, dass der Markt im Prinzip davon ausgeht, dass Saudi Aramco seine gewaltigen Ölreserven fördern und vermarkten wird, und dies voll einpreist. Damit ist Saudi Aramco in den Augen der Anleger so viel wert wie ein Technologieunternehmen, das langfristig relevante Produkte, Services, Patente und disruptives Potenzial vorweisen kann. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Es ist aber abzusehen, dass die Rechnung des Kapitalmarktes nicht aufgeht. Nämlich dann, wenn regulatorische Maßnahmen in Form von klimapolitischen Eingriffen erfolgen. Dieses Risiko aus klimaschädlichen Geschäftsmodellen ist bisher nicht ausreichend eingepreist. Dadurch ergibt sich die sogenannte Carbon Bubble, die Al Gore auf 22 Billionen US-Dollar schätzt.
Was genau ist die Gefahr dieser Blase? Welche Folgen könnte sie haben?
Hannah Helmke: Eine Finanzblase kann natürlich auch platzen, was Folgen für die Finanzmärkte insgesamt haben könnte. Wenn Staaten sich entschließen, schärfere klimapolitische Maßnahmen zu ergreifen, die klimaschädliche Geschäftsmodelle einschränken, werden die Bewertungen solcher Unternehmen einbrechen. Und nicht nur das: Finanzierende Banken müssen dann entsprechende Aktiva in ihren Bilanzen korrigieren. Die größere Gefahr liegt allerdings darin, dass die Blase nicht platzt – weil der Markt recht behält und fossile Energieträger tatsächlich wie eingepreist verkauft und verbrannt werden. Die daraus folgende Klimakrise und ihre Folgen wären sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich weitaus verheerender als das einfache Platzen einer Finanzblase. So seltsam es klingt, die Finanzblase wäre das kleinere Übel im Vergleich zu einer Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad Celsius.
Es klingt so, als sei eines dieser beiden Übel unvermeidbar. Gibt es einen Ausweg aus dieser Zwickmühle aus Finanz- oder Klimakrise?
Hannah Helmke: Es muss bei Investoren eine Aufmerksamkeit dafür geschaffen werden, wie sehr einzelne Geschäftsmodelle das Klima belasten. Es geht hierbei auch nicht bloß um einzelne Geschäftsmodelle, sondern um ganze Branchen, Assetklassen und Staaten. Wenn wir die Klimabelastung all dieser Akteure am Markt transparent abbilden und vergleichbar machen können, können Investoren ihre Portfolios gezielt und schrittweise neu justieren – und damit ihr Risiko verringern. Gleichzeitig erhöht das den Druck auf die Unternehmen. Dadurch könnte im Idealfall Schritt für Schritt und kontrolliert die Luft aus der Blase gelassen werden. Al Gore sieht es ähnlich. Er geht davon aus, dass die Milliarden Barell an Rohöl, die man noch fördern könnte, niemals gefördert werden, weil erneuerbare Energieträger immer wirtschaftlicher werden und fossile Energieträger auch ökonomisch verdrängen werden. Metriken, die transparent machen, wie klimaschädlich ein Investment ist, können diesen Vorgang maßgeblich beschleunigen.
Was schwebt Ihnen bezüglich dieser Metriken vor? Welche vermag es, die entsprechende Aufmerksamkeit am Markt für die Carbon Bubble zu schaffen?
Hannah Helmke: Der Lösungsansatz, der in unseren Augen am vielversprechendsten ist, nennt sich „Temperature Alignment“. Die Grundidee ist, dass bis zum Pariser Klimaziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung für jedes Unternehmen, jede Branche, Assetklasse oder jeden Staat bis 2100 nur noch ein bestimmtes Kontingent an Emissionen übrigbleibt, um das Ziel einhalten zu können. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, Dekarbonisierungspfade zu ermitteln, die im Einklang mit dem eigenen Emissions-Budget sind. Wird das Budget überschritten, ändert sich die Klimabilanz, und dies lässt sich in Grad Celsius ausdrücken. Die Vergleichbarkeit wird durch eine Temperature-Alignment Metrik-immens verbessert. Sie ermöglicht, Branchen, Assetklassen und Staaten transparent und nachvollziehbar miteinander zu vergleichen: Ist mein potenzielles Investment konform mit dem 1,5-Grad-Ziel? Ist mein Arbeitgeber schon ein Zwei-Grad-Unternehmen? Möchten Banken langfristig noch Drei-Grad-Projekte finanzieren? Temperature Alignment Metriken erlauben Vergleichbarkeit und Vergleichbarkeit schafft Wettbewerb, der wiederum Fortschritt incentiviert. Ist das Erreichen des Pariser Klimaziels vielleicht doch noch in Reichweite, wenn wir den Faktor Mensch mitdenken?