„Investments sollten stets die ethische Ausdruckshandlung im Blick behalten“

Prof. Dr. theol. habil. Peter Schallenberg ist ein deutscher römisch-katholischer Moraltheologe und christlicher Sozialwissenschaftler. Er ist unter anderem Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät Paderborn, Mitglied der Kommission Sozialpolitik und Gesellschaft des Deutschen Caritasverbandes und Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach. Er hat gemeinsam mit Peter Kardinal Turkson (Präfekt des vatikanischen Dikasteriums zur Förderung der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen) und Dr. Ulrich Schürenkrämer, Managing Director von Machlaan GmbH, München, einer Beteiligungsgesellschaft mit Schwerpunkt Impact Investment, und Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Sektion der „Fondazione Centesimus Annus Pro Pontifice“, die Schrift „Ethisches Investment“ verfasst. Sie ist in der Reihe „Kirche und Gesellschaft“, herausgegeben von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle, erschienen und steht kostenfrei unter https://www.gruene-reihe.eu/artikel/ethisches-investment/zum Download bereit. Im Interview mit Impact Investing-Magazin-Chefredakteur Prof. Dr. Patrick Peters sprechen Peter Schallenberg und Ulrich Schürenkrämer über Impact Investing und Kirche.

Sie haben sich in der Schrift „Ethisches Investment“ gemeinsam mit Peter Kardinal Turkson mit der Frage des Investierens aus katholischer Sicht befasst. Können Sie in kurzen Worten den Zusammenhang von Investments und dem christlichen Glauben und Menschenbild skizzieren?

Prof. Dr. Peter Schallenberg: Da Investments zu menschlichen Handlungen per se gehören, sind sie ethisch evaluierbar und daher auch aus Sicht christlicher Ethik zu bewerten. Je personaler Handlungen sind, desto mehr haben sie zu tun mit dem christlichen Menschenbild und dem christlichen Personalismus. Person heißt ja: den Menschen und das Individuum nicht reduzieren auf bloß technisch relevante Wirkhandlungen, sondern stets die ethische Ausdruckshandlung im Blick behalten. Das heißt: Was soll durch eine bestimmte Handlung an Tugend (oder Laster) zum Ausdruck gebracht werden? Was bringen Investments zum Ausdruck an Personalien Tugenden und was bewirken sie der Intention oder dem Effekt nach an moralischen Werten?

Welche Relevanz hat die Auffassung von Papst Franziskus zur nachhaltigen Entwicklung, die er unter anderem in der Enzyklika „Laudato si“ herausstellt, für das Investieren aus christlich-ethischer Sicht?

Prof. Dr. Peter Schallenberg: In genau dieser Hinsicht argumentiert auch Papst Franziskus in seiner ersten Sozialenzyklika „Laudato si“: Dem Menschen wird man in einer rein technokratischen Sicht nicht gerecht, es braucht den ganzheitlichen (integralen) Blick und damit die Berücksichtigung seiner Personalität als Leib-Seele-Einheit und folglich braucht es, auch im Finanzbereich, die Frage: Was dient jeweils mehr der ganzheitlichen und vollkommenen Entwicklung der Person, jeder Person, besonders der je schwächeren Person, auch der je schwächeren Staaten? Was dient letztlich einer möglichst umfänglichen und vollkommenen Entwicklung der menschlichen Geistseele?

Dr. Ulrich Schürenkrämer: Die Relevanz ist außerordentlich hoch. Die Enzyklika „Laudati si“ stellt meines Erachtens einen Kipppunkt in der nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft und Wirtschaft dar, indem wir uns in unseren Investments ganzheitlich neu ausrichten müssen.

Sie schreiben, dass eine alleinige Ausrichtung der Wirtschaft am Profitgedanken und eine Maximierung des Shareholder Values nicht geeignet ist, die Ziele einer umfassend gerechteren Welt des globalen Gemeinnutzens im Sinne der christlichen Sozialethik mit der Vermeidung von Ungerechtigkeiten, der gerechten Verteilung von Ressourcen und der Förderung des Klimaschutzes zu realisieren. Brauchen wir also einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel in Wirtschaft und an den Kapitalmärkten und wie müsste dieser aussehen? Oder ist es bereits eingetreten?

Prof. Dr. Peter Schallenberg: Dazu bedarf es ohne Zweifel einer stetigen „Bekehrung“ der Märkte weg von einer bloß technischen hin zu einer ganzheitlichen Sicht der Protagonisten am Markt, nämlich der handelnden Personen. Die Kirche sieht dieses prophetische Beharren auf einer Einbettung der Teilmärkte in eine ganzheitliche Sicht der menschlichen Person als ihre Aufgabe an. Der Kapitalmarkt funktioniert nach bestimmten Paradigmen, das übergreifende Paradigma aber ist die Person und ihre selbstzweckliche Würde.

Dr. Ulrich Schürenkrämer: Ein Paradigmenwechsel ist dringend erforderlich und war es auch schon vor 15 Jahren, wie Papst Franziskus in der Enzyklika „Laudati si“ mahnt: „Die Finanzkrise 2007-2008 war eine Gelegenheit für die Entwicklung einer neuen, gegenüber den ethischen Grundsätzen aufmerksameren Wirtschaft und für eine Regelung der spekulativen Finanzaktivität und des fiktiven Reichtums. Doch es gab keine Reaktion, die dazu führte, die veralteten Kriterien zu überdenken, die weiterhin die Welt regieren.“ Die Zeit drängt heute mehr denn je, mit noch höherem Nachdruck zu reagieren und neue ganzheitliche Maßstäbe für Investments zu entwickeln, die neben der finanziellen Rendite auch die soziale Komponente erfassen. Erfreulicherweise ist seit 2015 mit der zunehmenden Berücksichtigung von ESG-Kriterien eine Hinwendung zu neuen Kriterien eingeleitet, an denen heute kein Unternehmen mehr vorbeikommt.

Das Kernthema unseres Magazins ist Impact Investing. Wie schaffen Sie den Brückenschlag von ethischen Investments zum Impact Investing?

Prof. Dr. Peter Schallenberg: Das exakt ist der Brückenschlag vom ethischen Investment zum Impact Investing: zu fragen nach den langfristigen Auswirkungen und Konsequenzen eines Investments bezüglich der Förderung aller beteiligten Personen und ihrer Interessen, besonders der am Markt je schwächer gestellten Personen. Impact misst sich nach dieser Auffassung nicht nur an kurzfristigen Profiten weniger, sondern an langfristigen Profiten möglichst vieler, auch im Sinn der Nachhaltigkeit, also zukünftiger und noch nicht geborener Generationen.

Dr. Ulrich Schürenkrämer: Ethische Investments umfassen ein größeres Spektrum von Investments, indem neben Impact Investments auch verantwortungsvolle, nachhaltige und sozio-ökonomische Investments die ethischen Prinzipien verfolgen. Reine Impact Investments streben substanziell oder mehrheitlich nach dem Gemeinwohl. Damit ergibt sich in der Regel ein trade off von finanziellen Renditen einerseits und sozialem Benefit oder sozio-ökonomischen Zielvorstellungen andererseits, d.h. in der Konsequenz mit dem teilweisen ‚Verzicht‘ auf Erträge.

Wie lassen sich die ethischen Auswirkungen eines Investments konkret messen? Ist Ethik nicht als übergeordneter Denkansatz, ja sogar als systematisches Konzept, nicht vielleicht zu weit gefasst, um als Prämisse für Investments zu gelten, die als Impact Investing in der Regel ein konkretes Ziel verfolgen, sei es im Umweltschutz oder der Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeiten?

Dr. Ulrich Schürenkrämer: Die Messung der ethischen Auswirkungen eines Investments ist in der Tat nicht einfach und bisher noch nicht zufriedenstellend gelöst. Dennoch sollten wir uns nicht davon abhalten lassen, einen geeigneten Score nach dem Muster des Human Development Index, der seit 1990 von der UNO publiziert wird, zu entwickeln. Mit den 17 Sustainable Developments Goals der UN besteht zumindest ein Framework, das durch weitere Operationalisierung zu einem Gemeinwohl-Score ausgebaut werden kann.

Was erwarten Sie von den christlichen Kirchen und der katholischen Kirche im Besonderen, um Impact Investing weiter zu verankern?

Prof. Dr. Peter Schallenberg: Von den christlichen Kirchen wird Handeln nach innen und außen im Feld von Impact Investing erwartet: nach innen selbst so zu investieren, nichts zuletzt durch ein entsprechendes Wirken der kirchlichen Banken, was ja auch schon weitgehend geschieht, nach außen durch Schaffung von Bewusstsein für einen ganzheitlichen Kapitalismus oder auch einen „inclusive capitalism“.

Dr. Ulrich Schürenkrämer: Von der breiten Öffentlichkeit wenig beachtet haben die christlichen Kirchen in Deutschland, aber auch in Österreich, Belgien oder USA bereits seit Jahren Leitfäden für die ethisch-nachhaltige Geldanlage entwickelt. Über die umfassende, konsequente Umsetzung dieser Orientierungshilfen hinaus wäre es wünschenswert, die Anlagerichtlinien stetig weiterzuentwickeln und damit zusätzliche Anlagemöglichkeiten im Bereich der Impact Investments zu schaffen.