EU-Ökosiegel für Gas- und Atomkraft: Mehr Gelassenheit für die Dinge, die wir nicht ändern können

Investitionen in bestimmte Gas- und Atomkraftwerke können in der EU wie erwartet ab Januar 2023 als klimafreundlich eingestuft werden. Das kann man freilich kritisieren oder man kann es einfach ignorieren. Ein Kommentar.

Es war abzusehen, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Bereits im Frühjahr hatte sich angekündigt, dass das EU-Parlament Gas und Kernenergie künftig als nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie anerkennen wird. Jetzt ist es so weit: Investitionen in bestimmte Gas- und Atomkraftwerke können in der EU wie erwartet ab Januar 2023 als klimafreundlich eingestuft werden.

Mit der EU-Taxonomie sollen bekanntlich Kapitalströme in nachhaltige Investitionen umgelenkt werden, um den grünen Umbau von Energieproduktion und Wirtschaft voranzutreiben und Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen. Für nicht nachhaltige Unternehmen, sogenannte braune Unternehmen kann die EU-Taxonomie auf der einen Seite das Ausbleiben finanzieller Mittel zur Folge. Auf der anderen Seite könnten nicht nachhaltigen Finanzprodukten laut EU-Aktionsplan künftig sogar finanzielle Sanktionen auferlegt werden.

EU-Parlament war gespalten, aber nicht gespalten genug

Das wäre natürlich ein Problem für Gas- und Atomkraftunternehmen gewesen beziehungsweise hätte zum Problem werden können. Aber durch die EU-Entscheidung bleibt es beim Konjunktiv. Durch das EU-Ökosiegel für Gas und Atomkraft werde diese Energien nun als klimafreundliche Technologien eingestuft, entsprechende Investitionen in Kern- und Gaskraftwerke als klimafreundlich können als vermarktet werden.

Das EU-Parlament war gespalten, aber nicht gespalten genug. 278 Abgeordnete lehnten den entsprechenden Rechtsakt ab, notwendig wären 353 Stimmen gewesen. Die Grünen im Europaparlament lehnten den Vorschlag der EU-Kommission geschlossen ab, auch in anderen Fraktionen, selbst bei den Konservativen, war der Protest groß. Eine entscheidende Rolle spielte dabei Frankreich, das in der Atomkraft eine Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Wirtschaft sieht und die Technik gerne exportieren will. Deutschland setzte sich im Gegenzug für eine nachhaltige Klassifizierung von Gas als Übergangstechnologie ein.

Immer mit der Ruhe: Investoren sehen genau, wohin ihr Geld fließt

Aber was bedeutet das jetzt eigentlich für den Finanzmarkt? Im vergangenen Jahr wurde bereits entschieden, unter anderem die Stromproduktion mit Solarpaneelen, Wasserkraft oder Windkraft als klimafreundlich einzustufen. Das ist nachvollziehbar und hat Hand und Fuß bei der nachhaltigen Entwicklung vor allem in Energiegewinnung und -versorgung. Wer nachhaltig investieren will, findet damit im Bereich der Erneuerbaren Energien interessante Projekte – und konnte durch die EU-Taxonomie auf eine gewisse Verlässlichkeit bauen.

Und Investoren können auch weiterhin recht entspannt sein. Denn das Risiko, unbewusst und ungewollt beispielsweise in französische Atomkraftunternehmen zu investieren, ist de facto nicht vorhanden. Zum einen schließen viele Fonds Atomkraft ohnehin aus, Investoren sehen ohnehin bei ihren Fonds ganz genau, wohin ihr Geld fließt. Auf der anderen Seite müssen Finanzberater mit ihren Kunden ab August über die Nachhaltigkeitsziele bei der Geldanlage sprechen. Anleger können auf diese Weise entscheiden, auf welche Weise sie im Sinne der Taxonomie sie investieren wollen und welche Ausschlusskriterien konkret für sie gelten sollen.

Entscheidung ist ein politisches Symbol

Der Grünen-Abgeordnete Rasmus Andresen sagte, die Taxonomie sei nun „als grünes Gütesiegel für Finanzprodukte unbrauchbar“, und Florian Sommer vom genossenschaftlichen Fondsanbieter Union Investment sagte, mit der Aufnahme von Atom und Gas „erodiert die Glaubwürdigkeit der EU-Taxonomie“. Das ist schon nachvollziehbar. Experten meinen, dass Atomstrom wegen des Unfallrisikos und des Problems der Endlagerung nicht nachhaltig sein könne. Auch andere Fondsanbieter sehen Atomkraft als nicht nachhaltig an.

Letztlich ist die Entscheidung ein politisches Symbol. Zum einen sollte Frankreich als mächtigem und Atom-affinen EU-Mitglied ein Bonbon serviert werden. Zum anderen sollte natürlich auch ein Zeichen für die Versorgungssicherheit unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs und der politischen Irrlichterei des russischen Präsidenten Wladimir Putin gesetzt werden. Gas als sogenannte Brückentechnologie auf dem Weg zur CO2-Neutralität und eben auch Atomkraft als direkte Alternative in der Energieversorgung. Die Branchen sollen nicht von allen Investitionen abgeschnitten werden.

Man darf Nachhaltigkeit offenbar verwässern, wenn es einer bestimmten Sache dient

Das kann man freilich kritisieren, wie es viele Marktteilnehmer und politische Beobachter deutlich tun. Oder man kann es einfach ignorieren. Denn die Erweiterung der EU-Taxonomie heißt ja nicht, dass Investoren ab jetzt automatisch in Atomkraft anlegen sollen und werden. Das entscheidet jeder für sich allein. Die EU verordnet keine Investments, die dem Nachhaltigkeitsethos des Anlegers entgegenstehen.

Um keine falsche Meinung aufkommen zu lassen. Für die Nachhaltigkeit an sich ist die Entscheidung der EU-Kommission keine gute Nachricht. Es wird gezeigt, dass Nachhaltigkeit durchaus verwässert werden darf, wenn es einer bestimmten Sache dient. Der Zweck heiligt in dem Falle die Mittel. Das ist auch der wahre Kritikpunkt in dieser Causa. Denn die Entscheidung könnte die Büchse der Pandora öffnen – irgendwelche Gründe, um auch weitere nicht gerade nachhaltige Branche das grüne Siegel auf die Brust zu kleben, lassen sich schon finden. DAS gilt es kritisch zu hinterfragen.

Aber was die konkrete, aktuelle Entscheidung angeht, gilt: ein bisschen mehr Ruhe halten und an das Gelassenheitsgebet des US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr denken: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Gelassenheit, Mut und Weisheit werden dazu führen, die richtigen Investitionsentscheidungen zu treffen. Daran kann auch die EU-Kommission nichts ändern.

Über den Autor: Prof. Dr. Patrick Peters, MBA

Prof. Dr. Patrick Peters, MBA ist Professor für PR, Kommunikation und digitale Medien und Prorektor an der Allensbach Hochschule, Wirtschaftspublizist und Kommunikationsberater. Er befasst sich seit vielen Jahren mit der Finanzindustrie und berät vor allem Vermögensverwalter, Finanzdienstleister und Unternehmen, die sich dezidiert mit dem Thema der Nachhaltigkeit befassen. Er hält einen MBA mit Fokus auf Leadership und Ethik. Er ist Chefredakteur von impactinvestings.de.

Prof. Dr. Patrick Peters
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